Suchte nach dem, was kein Mensch jemals fand

Wer suchet, der findet! Von wegen! Selbst wenn die Richtigkeit dieses Sprichworts sich hin und wieder bestätigt, heißt es noch lange nicht, dass es wahr ist. Suchen und Finden verhalten sich nicht zwingend zueinander wie der Schalter zur Lampe. Es gibt Menschen, die halten sich einfach nicht an dieses Sprichwort. Die finden Geld auf der Straße, obwohl sie schon genug davon haben, aus einem Meer von Kleeblättern sticht ihnen das einzige Vierblättrige ins Auge, dabei haben sie weder danach gesucht, noch mangelt es ihnen an Glück. Wie oft, meine Lieben, sucht Ihr alle Ecken des Hauses nach der Lesebrille ab, die ihr doch gerade noch auf der Nasen hattet? Tagtäglich tauchen Frauen in bodenlose dunkle Handtaschen ab auf der Pirsch nach Kugelschreiber, Lippgloss und Einkaufwagenmarken und wir können froh sein, wenn sie daraus wieder auftauchen. Ohne Ergebnis. Nur weil wir suchen, heißt das noch lange nicht, dass wir auch finden. Ich habe dafür meine eigene Erklärung und die Quantenphysiker stimmen mir zu.

 

 

 

Das Ergebnis eines Experiments hängt von dessen Beobachter ab, besagt die Wissenschaft.

 

Mir war das schon lange klar. Aus eigener Erfahrung. Als Kind teilte ich mir hin und wieder mein Zimmer mit einer Riesenschlange. Sie lebte unter meinem Bett, lag zusammengerollt in der dunklen Ecke und rührte sich nicht. Dennoch raubte sie mir den Schlaf. Jeden Augenblick hätte sie unbemerkt erwachen und zu mir hochschlängeln können, während ich träumte. Darum bat ich meine Mutter, unter dem Bett nach zu sehen. „Da ist keine Schlange! Das bildest du dir ein. Jetzt schlaf einfach!“ Nur weil meine Mutter unter dem Bett keine Schlange gesehen hatte, bewies das nicht, dass da keine war! Aber wie hätte ich ihr das klar machen sollen? Erwachsene haben kein natürliches Verständnis für Quantenphysik. So sieht´s aus! Die Schlange hatte sich dem Blick meiner Mutter schlichtweg entzogen, übrigens eine Fähigkeit, um die ich das Vieh als Teenager echt beneidet hab!  

 

Alles was uns umgibt, entscheidet selbst, wem es sich zeigt.

 

 Meine Theorie kommt euch unglaubwürdig vor?

 

Dann beobachtet mal das Verhalten des gemeinen Schlüsselbundes. Oder wie erklärt ihr euch das launenhafte Benehmen von Portemonnaies?

 

Heute Morgen ging es bei uns mal wieder turbulent zu. Die Kinder mussten zur Straßenbahn und Micha sollte sie dorthin fahren. Aber wie, ohne Autoschlüssel? Nicht nur der Schlüsselbund, auch der Geldbeutel meines Mannes: unauffindbar, sie lagen nicht auf dem Tisch, steckten nicht in der Jackentasche und ruhten nicht auf der Kommode. Während die Kinder, schon in Schuhen, die Jacken lässig über die Schulter gelegt, Ranzen auf dem Rücken, auf das Abfahrtskommando warteten, scannte ich alle Flächen ab und Micha durchwühlte hektisch seine Sporttasche. Nichts. Die Zeit war abgelaufen. Die Bahn würde nicht warten. Also fummelte ich meinen Autoschlüssel vom Schlüsselring meines Bundes, händigte ihm einen Fünfzigeuroschein aus und weg waren die drei. Kaum hatte sich der von den durchdrehenden Reifen aufgewirbelte Staub vor dem Fenster wieder gelegt, fiel mein Blick auf den Schuhschrank neben der Haustür. Und da lagen sie. Schlüsselbund und Portemonnaie. Friedlich nebeneinander. Und hätten sie Augen und Münder gehabt, hätten sie mich hämisch angegrinst. So läuft das heute. Kein Respekt mehr vor den Besitzern!

 

Die Dinge halten sich nicht mehr an das Gesetz der trägen Materie, die stets der Schwerkraft folgt. Das ist ihnen zu langweilig geworden. Sie machen jetzt ihr eigenes Ding. Vor allem, seit sie sehen, was Server, Smartphones und Tablets sich für Freiheiten raus nehmen, wie sie völlig eigensinnig hoch- und runterladen, Kontakte verknüpfen und Nachrichten verschicken, ohne dass ihr User sie immer wieder neu dazu auffordern muß. Und ich wette, dass diese kleinen Geräte auch nachts, wenn wir sie an die Leine ketten, damit wir sie am nächsten Morgen wieder finden, klammheimlich davon schleichen und ihr Unwesen treiben. Darauf hat uns die Physik noch keine Antwort geliefert.

 

Wo stecken Handy, Portemonnaie und Lippgloss, während sie nicht auffindbar sind? Und warum ist mein Schlüsselbund nicht so launisch, wie Michas? Ist es fair, dass meine Geldbörse mir in entscheidenden Momenten nicht die Aufmerksamkeit entzieht, Micha aber eines besitzt, das ihn tagtäglich zum Narren hält? Warum lässt die Quantenphysik es zu, dass manche Menschen hier eindeutig benachteiligt werden?

 

Früher dachte ich, Männer täten sich mit dem Auffinden von Gegenständen schwerer als Frauen, vielleicht aus genetischen Gründen, vielleicht weil sie sich nicht darauf konzentrierten. Aber so ist es nicht. Nicht der Mann findet die Butter im Kühlschrank nicht. Die Butter verschanzt sich böswillig hinter der Himbeermarmelade, sobald der Mann die Kühlschranktür öffnet. Wir müssen akzeptieren, dass die Gegenstände, die uns umgeben, lebendiger sind, als wir ahnen und ein Eigenleben führen. Sie treffen eigene Entscheidungen und lassen sich nicht länger von uns bevormunden. Sie sind in die Pubertät gekommen, die Schlüsselbunde, Einkaufswagenchips und Lesebrillen, die wir erschaffen haben, wollen sich nicht mehr kontrollieren lassen. Daher sollte es heute heißen: Wer suchet, der suchet und wer findet, der findet.