Da ist Sehnsucht im System.

Eine Kluft

Ein Krater im Magen

Dürre im Schlund,

Ein suchender Blick über den Brillenrand.

Ein Versprechen hinter der Krümmung der Erde.

Die Lunge saugt am Sauerstoff,

Ausufernd und blau,

Droht sie zu bersten.

Ich harre besserer Zeiten

An der Haltestelle der Hoffnungen.

Ich tauche verzweifelt durch jeden Film.

Da ist so etwas wie Berührung

Auf meiner virtuellen Haut.

Windwasserweite.

Ich schaue zu Fenstern hinein

Dahinter Weihnachten,

Orientalische Feste.

Da wird gesungen und gelacht.

Lichter und Leute und Leckerbissen.

Draußen wabert das Vakuum.

Ich kritzle Kreuzchen auf Zahlenkästchen

Im Kalender zähle ich die Tage

Immer weiter,

Jahr um Jahr um Jahr.

Da fehlt was im System.

Ich suche

Im Briefkasten,

Am Flughafen,

Im Asia-Shop,

Im Internet

Nach Souvenirs von den Orten,

An denen ich nie war,

Um das Loch zu stopfen,

Denn da ist Sehnsucht im System,

Eine Kluft,

Ein Krater im Magen

Dürre im Schlund.



Mein Körper, mein Dschungel

Mal verirre ich mich in dir,

Mal genieße ich ein Bad

In deinem Wasserfall.

Du bist mir lebendig, vital, modernd.

Ich flüchte vor deinen wilden Tieren

In die höchsten Wipfel.

Kraftstrotzend umschlingen deine Lianen

Meine Äste.

Knietief wate ich durch

Deine keimende Fäulnis.

Viren, Schmarotzer, Symbionten.

Blatt an Blatt an Blatt-

Ein grünes Dach

Schützt meinen Schlaf.

Saftig, tropfend, duftend,

klebrig,

Bunt.

Ich klettre in dir spazieren.

Du nährst mich,

Regenerierst mich,

Dir dürstet

nach meiner ganzen

Lebenskraft.

Grausination

 

Fingernägeln auf glatter Oberfläche

 

Kratzen wie Schlittschuhkufen.

 

Zu glatt

 

Zu groß

 

Zu langefingernagelig.

 

 

 

Rollt auf mich zu

 

Der riesige Ball,

 

Die Erdkugel,

 

Der Schädel auf dem Lehrerpult.

 

Die Schädelplatten, fein verzahnt, verpuzzelt

 

Mit den Fingernägeln pulen,

 

Aufreißen.

 

Oder mit den Schneidezähnen

 

Quietschknacken.

 

Hart auf weich auf hart auf weich.

 

 

 

Körper windet sich

 

Zusammenzieharmonika

 

Eiswasserdusche über der Kopfhaut

 

Gefesselt im Brizzel der Gänsehautattacke

 

Zu viel Kohlensäure in der Blutbahn.

 

Kann nicht fliehen.

 

Kann nicht fliegen.

 

Kann nicht stürzen.

 

Andere bestimmen.

 

Andere Gesetze herrschen,

 

Nicht meine.

 

 

 

Torkelt.

 

Oben ist das Gewicht zu schwer

 

und nadelspitz der Fuß,

 

Balancieren hilft da nicht.

 

Der Schädel hat seine Steckverbindung eingebüßt.

 

Müsste fallen und stürzen und zerbersten

 

Oh, bitte, zerschelle!

 

Stattdessen angetrieben.

 

Das Gewicht kann keiner tragen,

 

Nur die fremde Macht,

 

Die Macht der Grausination.

 

 

 

 

 

 

Nachricht

Nur ein Wort.

 

Nur ein Satz.

 

Nur ein tiefes Atmen.

 

Dann nichts.

 

Die Welt steht still.

 

Kein Wind.

 

 

Zögerlich nimmt die Erde wieder ihre Kreise auf

 

Dreht sich jetzt gegen ihren Sinn

 

Rollt hervor was hinten war

 

Wirft zurück was vor uns liegt

 

Zieht an, was standhält

 

Reißt an dem, was unzerstörbar ist

 

Umhüllt die Liebenden schützend

 

mit ihrem tiefstenTrauerflor.

 

Trost

 

Der kommt bei Sonnenaufgang erst

 

Wenn die Buchenblätter sich entfalten

 

Der Sonnenstrahl das Moos erwärmt

 

das auf dem Baumstumpf keimt und wächst und lebt

 

In deinem Wald.

 

In Gedenken an Silke. Für Anke, Olaf und Rita.

 


Und so ist es


Und so ist es, wenn wir uns treffen,

Wenn sie da sind

Deine Augen

Und dein Mund

Und deine Stimme

Und dein Lachen,

Ohne, dass ich mich erinnern muss,

Hier, wo ich stehe,

An meinem Ufer.

 

Und so ist es, wenn ich sterblich bin

Und weich

Und warm

Und so viel Atemluft

Durch meine Lunge fließt,

Wie Wasser zwischen unseren Ufern.

 

Und so ist es, wenn der weiche Mantel deiner Nähe

Mich sanft umhüllt

Dein Atem meinen Nacken wärmt.

Das Wasser plätschert,

Wie flüssiges Glas,

Zerbrechlich

Und vertraut

Und lebendig

An meinem Ufer.

 

Und so ist es, wenn wir uns treffen

An irgendeinem Ufer.



Vielleicht

 

„Entscheide dich,

sagt nicht vielleicht

das kann kein Mensch ertragen,

Wenn jeder so unplanbar wär,

so unentschlossen, voller Fragen. Du machst uns unser Leben schwer!“

Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht ja doch. Das mögen sie nicht haben!

Der Weg geradeaus ist asphaltiert

Damit er keinen irritiert,

Ohne Kurven, Hindernis und Graben.

Und den soll ich beschreiten?

Vielleicht.Vielleicht auch nicht. Vielleicht ja doch.

Ich kann es nicht entscheiden.

Die anderen sind längst fort. Leer der Ort.

Mein Herz zerbricht, Schwer ist die Schuld. Ich setze mich und warte nur.

Vielleicht genügt Geduld.

Mein Geist legt sich nicht fest, weil er sich nichts befehlen lässt.

So sehr ich es versuche.

Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

Viel.

Leicht.

Licht.

Ich hebe ab, mein Geist ist weit: mir gehört das Leben und die Zeit.

Trübsal darf dem Wunder weichen.

Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vorsicht, Paradies in Sicht!

Dieses Gedicht ist nach dem Clustering-Verfahren um das Kernwort "Vielleicht" am 24.01.2016 entstanden. Viel Spaß beim Lesen.


M wie majestätisch

 

Majestätisch. Was für ein Wort! Es hat eine besondere Aufmerksamkeit verdient, denn es klingt, was es ist: magisch, mystisch, mehrdimensional. Da muss die Zunge sich zur richtigen Aussprache bemühen und jeder Buchstabe seinen angestammten Platz finden. Und wer seiner Persönlichkeit mehr Magie verleihen möchte, verhält sich königlich: aufgerichteter Gang, klarer liebevoller Blick und immer im Bewusstsein dessen, was der nächste Schritt ist. Ob ich mir mein Marmeladenbrot schmiere, meine Mama Milch macht oder Martin mich mühsam mit Mathematik mästet, all diese Handlungen entfalten ihren Magnetismus, wenn sie mit majestätischer Milde ausgeführt werden. Widerstand absolut zwecklos.

Dieser Text ist im Januar 2016 als kleine Schreibübung mittels Clustering um den Buchstaben M entstanden.


Ein Räuber

 

Ein Mann. Ein Bart. Ein Räuber. Für meinen Sohn eine völlig logische Gedankenkette. Holger, der Räuber. Er tauchte auf, blieb eine Weile, fühlte sich wohl, als wäre er in unserer Küche zuhause, legte sich auf den Liegestuhl im Garten, als würde er nie wieder gehen. Nach einem Nickerchen stand er auf und ging wieder fort. Mitgenommen hat er nichts, dagelassen, das warme Gefühl von Freundschaft, und die Freude auf den nächsten Besuch, bis zu dem nicht wieder so viel Zeit vergehen sollte. Versprochen, versäumt, vergessen. Dann ist er wieder da, als wäre er nicht weg gegangen. Der Bart gewachsen, jetzt eine Fensterglasbrille auf der Nase, dazu eine rote Mütze. Er hat keine Sack dabei, manchmal einen Hund, mal kommt er mit dem Auto, mal mit dem Fahrrad. Ob er in einer Räuberhöhle wohnt, fragte sich mein Sohn und kletterte auf seinen Schoß, um einen Keks mit ihm zu teilen. Ein Mann. Ein Bart. Ein netter Räuber. 

Dieser Text ist am 06.Februar 2016 als Übung zum Thema "Portrait" entstanden. Dank an Holger.