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Drinnen und draußen

Still ist es geworden in der Stadt, seit keine Autos mehr fahren. Sie stehen jetzt mit offenen Türen und Heckklappen ungeordnet in den Straßen herum. Im Kofferraum eines cremfarbenen Porsche Cayenne sammelt sich Müll und Laub. Ein Fuchs zerkratzt die Ledersitze auf der Suche nach Essbarem. Susa geht weiterhin über den Bürgersteig, als käme die Zeit zurück, in der das wichtig war. Das Schild vom Imbiss leuchtet nicht mehr. Schlaff hängt ein Stück Fleisch vom Grill. Die Autobahn führt wie ein stillgelegtes Kassenband unter Susa und der Brücke hindurch nach nirgendwo.

 

„Safety first!“, das hatte ihr Bruder gesagt und ist weggegangen. Dann ist Mama  umgekippt und auf dem Bürgersteig liegen geblieben. 

Bildquelle congerdesign, Pixabay

„Mama“, flüstert Susa und legt ihren schweren Kopf auf ihre Oberschenkel. Mama kann Susa nicht hören. Schon seit der Krieg eingezogen ist in ihren Kopf und in die Welt, kann sie Susa nicht mehr hören. Zuviel Sirenengeheul, das Rufen und Schreien von Menschen, die gewaltige Explosion. Alles steckt in ihrem Gehörgang fest.

 

Susa streicht mit dem Finger über den Rand ihrer Ohrmuschel, da entlang, wo die feinen Härchen wachsen. Sie späht hinein in das Gewirr an Drehungen und Biegungen, folgt den verwundenen Gängen, tiefer und immer tiefer, tastet sich an den feuchten Wänden entlang. Soldaten straucheln ihr entgegen, sprechen eine Sprache, die sie selbst nicht verstehen. Susa trifft auf Menschen mit leeren Taschen und zerrissenen Tüten. Sie drehen sich um sich selbst, als wollten sie sich in den Boden schrauben oder daraus hervor. Ali, der Bäcker, steht auf dem Kreisverkehr, bietet eine letzte Scheibe steinharten Brotes feil. Bitcoins will er dafür haben. Zum ersten, zum zweiten, zum dritten. Keiner greift zu. Keiner da. Der Bürgermeister lehnt mit der Stirn von innen gegen die Scheibe des Rathausfensters, seine Gasmaske ist verrutscht, auch die Krawatte. Die Friseurmeisterin fährt die Sonnenblende vor ihrem Geschäft ein und wieder aus, um die Haare ihrer Kundinnen vor der Strahlung zu schützen. Die Apothekerin, so hieß es in der allerletzten Ausgabe des Wochenkuriers, sei einer Jod-Überdosierung erlegen. Jetzt flattern die losen Blätter der Zeitung über den Friedhof an der Römerstraße. Zwischen Mamas Gehirnzellen haben sich Spinnen eingenistet und Vögel, scharren in den Erinnerungen nach Regenwürmern.

 

Der Krieg hat alles mit sich genommen. Drinnen und draußen. Susa legt den Klopf ihrer Mutter zurück auf das Pflaster und geht nach …