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Pippi Grows Older- Esther-Maria Roos

Das Geräusch kam ihr bekannt vor. Doch irgendetwas stimmte nicht. Pippi streckte sich auf der Rückenlehne ihres umgekippten Sessels, streckte die Füße noch weiter in die Luft und wackelte gedankenverloren in den Puschen mit den Zehen. Irgendwas passte nicht zu der Erinnerung. Mit neunundzehntsig geht das Erinnern dann doch nicht mehr so schnell wie Herr Nielsson klettern kann, dachte sie noch, da klopfte es. Energisch.

Pippi sah jedoch keine Veranlassung sich aus dem umgekehrten Sessel zu erheben, nur weil irgendjemand klopfte. Sie wollte wissen, woran sie das Geräusch erinnert hatte. Aber je mehr sie nachdachte, um so weniger konnte sie sich erinnern. Wie bei den Sternen - wenn du sie genau anschaust, sind sie weg. Genauso.

Pippi gähnte und versuchte daher an etwas anderes zu denken, aber ihr fiel gerade nichts anderes ein. Da klopfte es wieder. Sehr energisch, diesmal. Da Pippi angefangen hatte, nachzudenken, dachte sie über das Klopfen nach. Das erinnerte sie auch an etwas. Es passte zu der ersten Erinnerung, aber auch hier war irgendetwas anders.

Es klopfte erneut - und diesmal quasi mit Ausrufezeichen. „Pippi?!!!“ rief eine Stimme resolut. „Pippi, mach sofort auf!“

Bild von Jörn van der Schaaf auf pixabay

Pippi machte einen Purzelbaum rückwärts vom Sessel. Das gab es nicht, das konnte gar nicht sein. Die Prusseliese! Die war ja ewig nicht dagewesen. Konnte das überhaupt sein? Pippi feierte heute ihren neunundzehntsigsten Geburtstag und die Prusseliese, die musste doch mindestens.... Ach, egal. Pippi ging zur Tür und öffnete. Sie wollte gerade „Hallo, liebe Prusseliese“ sagen, da stockte sie überrascht. Denn vor ihr stand nicht „Die Prusseliese“, nein, es waren fünf. Pippi war sich nicht ganz sicher, ob es verschiedene Personen waren oder doch eine, die sich irgendwie vervielfältigt hatte, denn sie sahen alle gleich aus. Ein buntes Kleid, „gutes“ Schuhwerk, ein geblümter Hut und eine Brille mit Goldrand.

Jetzt wusste Pippi auch, woran sie sich erinnert hatte - es waren die Schritte. Wenn die Prusseliese wieder mal gekommen war, um sie ins Kinderheim abzuholen. Nur, es waren diesmal eben mehrere Personen gewesen. Deswegen hatte es so anders geklungen. 

„Kommen Sie doch herein, liebe Prusseliesen, sagte Pippi nun. Die Prusseliesen kamen energischen Schrittes ins Zimmer. „Pippi!“, sagte die vorderste der Prusseliesen feierlich. „Wir sind gekommen, um...“ „...mich ins Kinderheim zu bringen?“ vollendete Pippi schelmisch den Satz. 

„Nein! - natürlich nicht!“, sagte die zweite Prusseliese. 

„Ah, dann ins Altersheim?“, fragte Pippi.

„Sei nicht albern, Pippi!“, sagte die dritte Prusseliese. „Wir sind gekommen, um dir zu gratulieren...“ „...und um uns zu bedanken“, vollendeten die letzen beiden Prusseliesen den Satz.

Jetzt war Pippi doch einen Augenblick sprachlos. „Bedanken?“ Wofür?“

Bild bearbeitet mit Canva

„Nun ja, wir verdanken dir viel“, erklärte nun wieder die erste Prusseliese. „Damals, als Fräulein Prysselius - unsere liebe Schulgründerin - so plötzlich der Villa Kunterbunt den Rücken kehrte, ging sie in eine große Stadt, weit entfernt und hat dort eben eine Schule gegründet. Eine Ausbildungsstätte für gestrenge Erziehungsfräuleins.“ Pippi war immer noch irritiert. 

„Damit wir erfolgreiche, gestrenge Erziehungsfräuleins werden können, brauchten wir ja gute Beispiele. Also Beispiele, die es einem so richtig schwer machen und da hat die alte Prussel...äh, natürlich das gute Fräulein Prysselius uns immer von dir erzählt. Sie hatte genau aufgeschrieben, wie du sie immer ausgetrickst hast und wir mussten auch ein Praxissemester machen, in dem wir uns möglichst genauso wie du verhalten haben und noch ganz anders und alles auf den Kopf gestellt haben und Plutimikation gemacht haben... und...“. Die Augen der Prusseliesen leuchteten vor Glück. „Das war toll“, sagte eine der weiter hintenstehenden Prusseliesen. „Wir haben so viel Spaß gehabt und so viel gelernt. Das war die schönste Zeit unseres Lebens“.

Pippi war erstaunt. „Und seid ihr denn jetzt erfolgreiche, gestrenge Erziehungsfräuleins geworden?“ fragte sie schließlich. 

Die Prusseliesen schwiegen verlegen. 

„Sagen wir mal so“, meldete sich leise eine zu Wort, „was die gestrenge Erziehung bei Kindern angeht, sind wir nicht so besonders erfolgreich. Daher konzentrieren wir uns darauf, andere Fräuleins auszubilden und bringen ihnen vor allem bei, wie man Fräuleins austrickst und Plutimikation macht und auf Fahrrädern ohne Rädern fährt und so. Das macht auch viel mehr Spaß!“

 

„Nun ja, liebe Pippi, wir wollten dir anlässlich deines neunundzehntsigsten Geburtstag daher ein besonderes Geschenk machen und verleihen dir daher unser Ehrenabzeichen. Eine Brille mit Goldrand am Bande! Dein Name ist an der Seite eingraviert!

Herzlichen Glückwunsch und drei mal Hipp Hipp Hurra! - so meine Damen, wir müssen wieder gehen. Wir möchten die Jubilarin nicht unnötig aufhalten!“

So plötzlich, wie sie gekommen waren, verschwanden sie wieder.

 

Etwas kitzelte Pippi an der Nase. Es war Herr Nielsson, der sie weckte, weil er endlich auch vom Geburtstagskuchen naschen wollte. Pippi räkelte sich aus dem Sessel.

„Die Prusseliese...“ dachte sie. „Was für ein komischer Traum. Nun ja, komm, Herr Nielsson, wir essen jetzt Geburtstagskuchen“. Als sie sich an den Tisch setzten, fiel auf einmal ein Sonnenstrahl durchs Fenster und schien genau auf die Kommode. Dort funkelte etwas in der Sonne. Eine Brille mit Goldrand. Am Bande.


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