· 

Pippi Grows Older - Elena König

Die Boardingzeit fand am späten Abend statt, fast in der Nacht. Eine grauhaarige Oma, deren Zöpfe in einen Dutt am Hinterkopf geknotet waren, humpelte zum Gangway des Schiffs. Es war ein Riese, trug einen komischen Namen. „Mein Schiff 4“ anstatt zum Beispiel „Hoppetosse“. Sie schüttelte den Kopf. Das Gepäck wurde für sie abgegeben. Was braucht man schon in ihrem Alter für zwei Tage? 

Ein Veranstaltungsmitarbeiter, schätzungsweise, Anfang dreißig, schaute sie verwundert an: 

„Guten Abend, gnädige Frau! Sind Sie sicher, dass Sie hier richtig sind?“

„Abend, junger Mann! Natürlich bin ich mir sicher. Sagen Sie mir lieber, in welcher Richtung die Kabine „Zweimal-neunzig“ ist?“

„Wie bitte?“

„Hundert und achtzig! Was ist hier nicht zu versehen, junger Mann?“

Der Mann begleitete sie, stellte aber keine Fragen mehr. Unterwegs sah Pippi an den Wänden Plakate: „Wacken Open Air!“ oder „Travemünde – Helsinki – Tallinn – Travemünde: Herzlich Willkommen!“

Ungewöhnlich aussehende und gleichzeitig lustige Gestalten kreuzten ihren Weg durch den schmalen langen Gang mit gedämpften Licht. Zum Glück, um die nächste Ecke war ihre Kabine. 

Bild von Kranich17 auf pixabay

Am Morgen wurde sie von lauter Musik aufgeweckt. Nicht die Lautstärke war es, die sie aufschreckte. Nein, die Art der Musik war ihr befremdlich. 

„Zeit fürs Frühstück!“, dachte Pippi und reckte sich, die alte Knochen machten ein klackendes Geräusch. „Sind das meine?“ Sie sah sich um. niemand war mit ihr in der Kabine. „das Alter bringt keine Freude mit sich!“, schoß es ihr durch den Kopf. 

Heute, bei Tageslicht sah sie noch mehr Plakate: „Comedy, Metal -Karaoke, „Meet & Greet“ mit den Stars, Lesungen, Tätowierer, Metal -Wellnes“. 

„Das wird spaßig!“ Pippi lächelte. Der Speisesaal war voll mit bärtigen Männern in schwarzen T–Shirts, ihre muskulöse Arme waren tätowiert, in den Nasen und Lippen hatten einige Piercings. 

„Vielleicht bin ich wirklich falsch abgebogen!“, dachte Pippi, aber alle Menschen waren nett: Sie sangen, hüpften und riefen „Peace Alte!“

Pippi hob ihr Hand: "Peace, Kinder! Ihr seid ein lustiger Haufen!“ 

Auf der große Bühne an Deck tobte die Band „Beyond the Black“, deren Name leuchtete in allen Regenbogenfarben über die Bühnenmuschel. 

„Hey, Oma! Nicht drängeln!“ rief jemand von der Seite.

„Was hast du gesagt?“, fragte Pippi verwundert, denn rechts hörte sie schlecht.

Bild von PublicDomainPictures auf pixabay

„Oma, wohin willst du denn?“

„Näher zur Bühne! Was für eine dumme Frage!“

„Ich begleite dich!“, schlug ein bärtiger Riese vor. So bahnten sie sich den Weg zur Bühne.

„Mein Jungchen“, sagte Pippi zu dem über hundert Kilo schweren Mann, der sie zärtlich unterstützte. „Das ist ja eine sehr angenehme Lautstärke! Mir gefällt es hier.“ Pippi kicherte.

Vor der Bühne tanzten die Leute, bewegten sich, als ob sie unter Strom stünden. Pippi schaute  ihren Begleiter verwundert an. 

„Das, Oma, ist „head banging“! Willst du es versuchen?“ 

Pippi stand eine Sekunde unentschlossen da, dann begann sie sich mit dem Kopf wackelnd im Takt der Musik zu bewegen und schrie: „Ooodiiiin!“ 

Der Bärtige zerrte sie weiter.

„Schau Oma, da sind meine Freunde. Jetzt spielen wir Dosenstechen!“

„Was ist das?“ Pippi lachte, als sie sah, mit welcher Vorgehensweise die Bärtigen ihr Bier tranken. So hätte sie es früher vielleicht auch gemacht. Hätte sie eine solche Dose gehabt. 

„Jetzt du, Oma!“

„Warte! Ich ziehe mir nur die Strümpfe an, dann probiere ich es“. Und in der Tat schmeckte Pipi das Bier aus der Dose besser als alles, was sie in den letzten fünfzig Jahren getrunken hatte. 

Gut, dass auf diesem Schiff keiner nach meinen Namen fragt, stellte Pippi zufrieden fest Schließlich feiert man nicht jeden Tag den neunzigsten Geburtstag! 

Bild von Manfred Richter auf pixabay