Schreiben im Alltag (Teil 1)

 

Hast du die Zeit und die Ausdauer dich neben Beruf und Familie hinzusetzen, um den Roman zu schreiben, von dem du immer geträumt hast? Ich bisher jedenfalls nicht. Und das hat mich zeitweise ganz schön frustriert. Warum will ich überhaupt schreiben, habe ich mich gefragt und die Antwort kam schneller, als gedacht. Ich will dem Leben ein paar Geheimnisse entlocken, schreibend. Zum Beispiel treibt mich die Frage um, warum eine dicke Fliege in der Auslage beim Bäcker keinen bleibenden Eindruck hinterlässt? Schreibe oder lese ich Worte die eben diese Fliege treffend beschreiben, bin ich aufs Beste unterhalten. Natürlich ist das eine Frage der Aufmerksamkeit, die man einer Situation durch sein Beobachten entgegen bringt. Mit meiner Aufmerksamkeit gebe ich dem Augenblick seinen Sinn zurück. Und das kann ich schreibend erfassen. Für mich eine tiefe Befriedigung. Dazu brauche ich gar keinen langen Roman. Ich schreibe kurze Texte, die in meinen Alltag passen und meinem Alltag entspringen. Sie sind so kurz, dass ich sie in ein paar Minuten, manchmal in ein paar Stunden fertig stellen kann. Sie handeln von dem, was mich umgibt, was ich beobachte, woran ich mich erinnere, worüber ich nachdenke oder lache.  

 

Doch woher kommt die Idee für einen Text?

 

Inspiration lauert überall. Wenn du deine Sinne schärfst, Augen und Ohren aufsperrst, werden dir überall in deinem Alltag Einfälle begegnen, die dich zum Schreiben anregen. Achte besonders auf Kleinigkeiten. Ihnen wohnt ein Zauber inne. Ich habe mir zum Beispiel angewohnt in Situationen, in denen ich mich früher gelangweilt habe, z.B. in der Straßenbahn, mein Augenmerk sofort auf irgendein Detail zu lenken und zu warten, was meine Fantasie damit anstellt. Aber aufgepasst! Mit der Inspiration verhält es sich genauso wie mit Freundschaften: du musst sie pflegen, sonst verliert man sich aus den Augen. Und diese Pflege geht so: Wenn eine Idee aufblitzt, schenke ihr deine Aufmerksamkeit. Sei es auch noch so kurz. Freue dich, dass sie zu dir gekommen ist. Sei nett zu ihr und verschone sie mit vernichtender Kritik, sonst folgen der ersten Idee keine weiteren. Wer empfiehlt schon einen Ort weiter, an dem man nicht willkommen ist? Wenn du eine Idee gerade nicht gebrauchen kannst, lass sie weiter ziehen, wie einen Passanten, den du freundlich anlächelst. Du wirst sehen, die nächste Idee lässt nicht lange auf sich warten. Und sie wird besser sein, als die vorherige. Der beste Einfall kommt erst dann, wenn all die anderen Ideen, die mit denen du nichts anfangen kannst, gedacht sind. Das ist für mich der wichtigste Aspekt im kreativen Prozess. Eine Idee taucht dort auf, wo sie gut behandelt wird. Ich persönlich behandele Ideen nicht als einen elektrischen Impuls meiner Gehirnzellen, den ich selbst produziert haben und daher damit machen kann was ich will. Ich behandle Ideen als etwas, das mir geschenkt wird, das ein eigenen Willen und ein eigenes Vorhaben hat, etwas von dem ich nicht genau weiß, wo es hergekommen ist und wo es hin will. Beobachte doch selbst mal dein Verhältnis zu deinen Einfällen.  

 

Jetzt hast du bereits zwei wichtige Aspekte kennen gelernt, die für das Schreiben im Alltag relevant sind: nimm dir nicht zu viel vor und lass dich inspirieren von dem, was dich ohnehin umgibt. Worauf wartest du also noch, wenn du ein bisschen schreiben willst?

 

Fang klein an. Beschreibe etwas aus deinem Alltag: der Stuhl auf dem du sitzt, dein Gegenüber in der Bahn, das herabtropfende Blumenwasser vom Balkon über dir, die Geräusche auf der Straße. Besonders viel Spaß macht das, wenn du alle diese kleinen Beobachtungen, die in kleine Texte einfließen, unter ein Thema stellst. Du könntest jeden Tag den einen Menschen beschreiben, der dir in der Bahn gegenüber sitzt. Nach einem Arbeitsmonat hast du schon 20 Leute zusammen, die alle etwas gemeinsam haben: sie haben dir gegenüber gesessen. Oder du beschreibst jeden Tag, was dir zur Schlagzeile der Zeitung im Zeitungskasten einfällt. Schon hast du ein Zeitdokument mit persönlicher Note erschaffen. Oder du beschreibst nur Dinge, die mit A beginnen, am nächsten Tag die, die mit B beginnen. Erfinde irgendeine Regel für dein Schreibvorhaben, das wird deine Fantasie auf Trab bringen.

Und jetzt möchte ich euch an der Schreibinspiration teilhaben lassen, die ich mir heute als Beispiel gesucht habe. Es ist das Spinnengewebe vor meinem Wohnzimmerfenster.

Schreibinspiration Spinnenwebe 

 

„Hallo? Ist da jemand?“ Den ganzen Morgen schon habe ich dieses komische Gefühl, als befände sich jemand in meiner Wohnung, dabei weiß ich ganz genau, dass Karsten gestern Abend gegangen ist, die Wohnungstür hinter sich zugezogen hat. Trotzdem schaue ich noch mal in jedes Zimmer. So viele sind es ja nicht. Und auch im Schrank, schaue ich nach, sogar unter dem Bett. Keiner da, außer ein paar dicker Staubflocken, die der letzten Staubsaugerattacke entgangen sind. Ich versuche das komische Gefühl mit einer Tasse starkem Kaffee runter zu spülen und schalte den Laptop an. Der Wind rüttelt an den Fensterläden. Ich muss endlich das Scharnier reparieren, geht es mir durch den Kopf, während sich mein Postfach mit

Nachrichten füllt. Und plötzlich sehe ich ihn. Oder ist es eine sie? Ich gehe zum Fenster und sehe ganz deutlich ein Gesicht, das direkt in mein Fenster schaut. Zwischen den Fensterkreuz und dem porösen Mauerwerk baumelt ein altes Spinnengewebe, schwer vom Staub, entspannt und lose. Der Wind spielt darin, wie in einem losen Segel. Die Spinne ist nicht mehr da. Es ist ein anderer eingezogen. Ein freundlicher Geist schaut mich mit seinem seidigen Gesicht an, mal zu dicken Backen aufgeplustert mal zusammen gefallen wie ein zahnloser Alter. Ja, da ist jemand. Das habe ich doch sofort gemerkt.


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