Schlafzimmer

Es gibt Wesen, mit denen teile ich gerne mein Schlafzimmer: meine Kinder, besondere Freunde, die nach einem Glas Rotwein spontan über Nacht bleiben, Sandmänner, Elfen, Feen, Hausspinnen und mein Ehemann. Und es gibt Wesen, mit denen vermeide ich es nach Möglichkeit, mein Schlafzimmer zu teilen: Spitzmäuse mit ihrem beißenden Geruch, der mich glauben lässt, ein Puma hause unter meinem Bett, Stechfliegen und andere Blutsauger. Und Dobermänner.

 

Zu jedem Zeitpunkt meines Lebens hätte ich auf die Frage, ob ich mein Schlafzimmer mit einem Dobermann zu teilen bereit wäre, mit „Nein“ beantwortet. Und dazu hätte es keinen Beweis gebraucht. Dieser Sache war ich mir absolut sicher. Trotzdem hat das Universum mir dieses Erlebnis geliefert und ich befürchte, ich habe daraus nicht die Lektion gelernt, die mir von oben aufgetragen worden war.

 

Meine Freundin Pia und ich, wir verbrachten nach der Schulzeit ein paar ziellose Wochen in Frankreich. Die Tage plätschern dahin, wie das Wasser eines dünnen Rinnsals, das sich seinen Weg durch eine beblumte Wiese bahnt. Wir genossen es, frei zu sein. Pia hatte hier irgendwo einen Freund. Er hieß Jacques oder Pierrre oder Hervé. Pia hatte immer irgendwo einen Freund, um den sie sich drehte, wie der Mond um die Erde und der Jacques, Pierre oder Hervé hieß. Der aktuelle Jacques wohnte in einem kleinen Häuschen mit kaputten Fenstern und Moos auf dem Dach, das mitten auf einer Wiese stand, die mitten in einem Wald lag. Die Haustür hatte  keinen Schlüssel und auf dem Esstisch lag eine geblümte Plastikdecke. Jacques Oma hatte sie ihm vor zwölf Jahren hinterlassen mit samt dem Haus drum herum, und seitdem hatte er nichts daran verändert. Abends, wenn es kalt wurde, schleppte Jacques  einen Baustamm aus dem Wald in die Stube, legte ihn mit dem Kronenende, von dem noch Äste und Ästchen in alle Richtungen stakten und das von verdörrten Blättern raschelte,  in den offenen Kamin. Das Feuer erfasste das trocken Laub, ließ es für wenige Sekunden hell aufflackern und nagte sich dann glimmend durch den Baum, den Jacques in regelmäßigen Abständen in den Kamin nachschob, um die  Flammen zu nähren.

 

 

Pia und ich waren unterwegs zu Meer. Pia wollte Jacques und ein paar Flaschen Bier überreden mit zu kommen. Also hielten wir unseren Wagen vor seinem Haus auf der Wiese. Jacques hatte einen Dobermann, so groß, dass er einem mittelgroßen Menschen beinahe bis zum Ohrläppchen reichte und der jetzt wie ein Säbelzahntiger im Blutrausch um unser Auto wetzte. Also blieb ich vorsichtshalber sitzen.

 

Nach einer Stunde holte Pia mich im Auto ab, geleitete mich an dem Hund vorbei, und für den Rest des Abends hockten wir, statt am Strand, bei Jacques vor dem Kamin.

 

Der Hund saß bewegungslos neben seinem Herrchen, wartete auf Befehle, die aus geheimer Quelle in seiner Schaltzentrale eingingen. Dann handelte er schnell, prezise und schnörkellos. Einer der Befehle musste lauten, eine weiße Maus zu bewachen, die in einem kleinen Käfig lebte. Sobald die Maus ihr Laufrad in Bewegung setzte, richtete der Hund seinen Körper im rechten Winkel zum Käfig aus, bellte drei mal und verstummte wieder. Der Hund mochte es, wenn alles seine Ordnung hatte. Auf überraschende Bewegung reagierte er mit einem hirnlosen Ritt um den Küchentisch, als wäre ihm eine wichtige Sicherung durchgebrannt, Nur Jacques konnte den Galopp mit einem durchdringenden Pfiff beenden, ansonsten wäre der Dobermann bis in alle Ewigkeit weiter um den Tisch gesprintet.

 

Irgendwann war Pia zu müde zu fahren und Jacques zu betrunken, eine Entscheidung zu treffen. Also verzogen sie sich in irgendein Zimmer mit Tür, die hinter ihnen zufiel und überließen mir das Sofa.  

Den Dobermann hatten der Befehl erreicht, mit stramm aufgerichteten Ohren darauf zu achten, dass ich nicht einschlief. Er saß neben mir, vibrierte wie ein Rennwagen vor dem Start, den Blick entschlossen auf mich geheftet. Eine falsche Bewegung und er wäre los geschossen und hätte sich selbst unkontrolliert mit seiner spitzen Schnauze in die Wand gerammt. Er schnaubte mir seinen gebrauchten Atem in die Nasenlöcher, während ich wieder und wieder bis hundert zählte. An Schlafen war nicht zu denken. Wann immer ich die Lider hob, blickte ich direkt in die beiden bewegungslosen Hundeaugen, die nur weniger, sehr wenige Zentimenter von meinem Gesicht entfernt waren und mich, im Widerschein des verglimmenden Feuers anstarrten, bis endlich erstes fahles Tageslicht durch die Fenster sickerte und der Morgen mich erlöste, von diesem Wesen, das mit mir sein Schlafzimmer teilen musste.