Schlafen

Ich schlafe gerne. Licht aus, Augen zu, eingeschlafen. So geht das bei mir. Meistens jedenfalls. Natürlich gibt es auch Nächte, in denen ich mich von einer Seite auf die andere wälze und den Morgen herbeisehne, nur damit diese quälende Unruhe ein Ende hat, beispielsweise wenn am nächsten Tag auf keinen Fall den Überblick verlieren darf. Dann bemühe ich mich, im Schlaf nichts zu vergessen. Und schon hält sich die ersehnte Nachtruhe von mir fern, wie die Kuh vom Elektrozaun. Also greife ich, sobald ich mir eingestanden habe, dass es mit dem Einschlafen heute nicht klappen will, zu Zettel und Papier und schreibe auf, was mir durch den Kopf geht. Raus aus dem Kopf, drauf aufs Papier. Ruhe in der Kiste. Hilf meistens. Aber manchmal passiert auch das: kaum ist das Wichtigste niedergekritzelt, so kreisen meine Gedanken darum, dass ich auf keinen Fall den Zettel vergessen darf. Noch ist es nicht so weit gekommen, dass ich für diesen Fall einen weitere Zettel anfertige, um mich an den ursprünglichen Zettel zu erinnern, und noch einen weiteren, um mich an den ersten weiteren zu erinnern, der mich man den ursprünglichen Zettel erinnern soll...  bis der Weg vom Bett zum Tisch mit bunten Heftnotizen gepflastert ist. Die Sorge, ich könnte den Zettel vergessen oder nicht wieder finden, ist im Übrigen völlig unnötig. Ich weiß im Augenblick des Aufwachens ganz genau, wo der Wisch liegt und was darauf steht. Und auch bei jeder nächtlichen Umdrehung auf der Matratze hätte ich auswendig runterbeten können, was ich zuvor zur geistigen Entlastung aufgeschrieben haben: Ladegerät, Zahnbürsten für alle, Schlafanzüge, Reiseunterlagen, der Nachbarin den Schlüssel geben, Mircos blaue Gummistiefel. Merkhilfe völlig überflüssig! Glücklicherweise passiert das vielleicht zwei Mal im Jahr. Einmal vor dem Sommerurlaub und einmal vor dem weihnachtlichen Großeinkauf für den Verwandtenbesuch. All die anderen Nächte schlafe ich einfach.

 

Aber schlafen kann man bekanntlich nicht nur nachts. Was mir beispielsweise müde Stellen ins Gesicht treibt sind Gesprächspartner, deren ausufernden Beschreibungen pittoresker Urlauborte oder des Hochzeitsbüffets irgendeiner mir unbekannten Cousine einfach nicht enden wollen. Erst versuche ich mich wirklich zu interessieren für das, was da an Schallwellen meinen Gehörgang trifft, doch wenn ich mich dabei erwische, wie ich die Maschen des Pullovers meines Gegenübers zähle, weiß ich: ich bin nicht bei der Sache. Dann ziehe ich die Schultern ein bisschen hoch, verkrampfe die Finger auf meiner Jeans. Hilft alles nichts. Der Redeschwall endet nicht. Und da wählt mein Körper, wie von selbst, den einfachsten Ausweg und wird hundemüde. Und wie sich das anfühlt, das wissen alle Eltern dieser Welt aus der Zeit, als ihre Kinder Babys waren und sich der Schlafmangel kaum noch steigern ließ. Seit meine Hormone wieder ganz normale Hochs und Tiefs produzieren und mich nicht mehr in Daueralarmbereitschaft halten, seit unsere beiden Kinder das Treppesteigen sicher beherrschen und einfach schlaftrunken zur Toilette wanken, wenn sie nachts mal müssen, weckt mich auch nächtliches Rufen aus den Kinderzimmern nicht mehr. Komischerweise hört Micha seitdem jedes noch so kleine Hüsterchen, während er zur Stillzeit ganze Schreikonzerte verpennen könnte. Manchmal denke ich, dass er mit seinem hellhörigen Schlaf bis in alle Ewigkeit dazu verdammt ist, die endlosen Nächte auszugleichen, die ich mir mit Stillen, Wickeln und Herumtragen um die Ohren geschlagen habe. Wie gut, dass die Kinder heute nachts auch vorwiegend schlafen, sonst könnte Micha bald nicht mehr aus den Augen gucken. Aber ich will hier vom Schlafen schreiben, nicht vom Nicht-Schlafen. Und zum Schlafen gehört ja auch das Träumen.

 

 

Ich hatte als Kind einen wiederkehrenden Traum, der tief blicken lässt. Es war der Traum vom kleinen, dicken, kugelrunden schwarzen Mann, dessen Gestalt sich aus dem Schattenriss eines breiten Korbstuhls in meinem Zimmer herausbildete. „Oh la la“ höre ich die Hobbypsychologen unter euch sagen, „der schwarze Mann! Symbol für sexuelle Verstrickungen mit dem archetypischen Männlichen.“ Und wenn´s so wär! Jedenfalls tat dieser Mann nichts anderes, als mich anzustarren. Beim Schlafen. Er war genauso unbeweglich wie der Korbstuhl. Und heute bin ich mir auch nicht so ganz sicher, ob ich während dieses Traumes wirklich immer geschlafen habe.

 

Vor ein paar Tagen dann mal ein gänzlich ungewöhnlicher Traum für mich, dafür umso plastischer. Surfen. Ich trudelte schwimmend auf dem weiten Meer dahin, als ich hinter mir eine Monsterwelle heranrollen sah. Kein gutes Gefühl. Mir war klar: In Panik geraten hilft jetzt nichts. Die Welle würde entweder mein Verderben oder meine Rettung. Ich schätze die Geschwindigkeit des Wasserberges ab und stieg im richtigen Moment auf das Brett- wo auch immer das plötzlich herkam. Ich vertraute mich der gigantischen Wellenwucht an. Und das war geil! Die Welle, das Brett und ich, wir verschmolzen zu einer kraftvollen Einheit und schossen gemeinsam Richtung Ufer! Es bestand keinen Augenblick die Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren. Sicher und energiegeladen schwappten wir gemeinsam an den Strand. Was für ein Traum! Was für ein Schlaf! Ja, ich schlafe gerne. Aber noch lieber bin ich wach. Schön wäre es, wenn ich beim Schlafen wach sein könnte, damit ich auch nichts verpasse. Oder ich buche im nächsten Urlaub einfach einen Surfkurs.

 

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